Ein neues Kapitel beginnt

Hallo ihr Lieben! Es ist geschafft - gestern, am 2. Oktober, bin ich in Fort St. John angekommen. Von nun an wird sich mein Leben um 180° drehen, danach auf den Kopf stellen, spiegeln und nochmal kräftig durchmöllern. Doch vorher berichte ich euch von der vergangenen Woche und meinen gewagten Plänen an diesem Lebensfeindlichen Ort.

Bevor Anna und Ich uns auf den Weg nach Jasper machten, besuchten wir noch den Athabascagletscher, der sich als eine der Hauptzungen des gigantischen Columbia-Icefields durch die Rockies gegraben hat. Knapp unter der Schneegrenze konnte man den Großteil der Eismassen allerdings nur erahnen. Richtung Norden geht es nach dem Gletscher aber stetig wieder bergab, und wir kletterten spontan einen kleinen Wasserfall am Straßenrand hinauf. Trotz gemischtem Wetter war die Straße nach Jasper sehr schön, und Anna war ganz aus dem Häuschen: „Guck mal all die Bäume hier, und so viel grün, voll schööön oder!?“ - „Joa“ lautete meine knappe Antwort. Ich durfte in meinem Leben ja schon die eine oder andere Tanne begutachten und bin dementsprechend bei den meisten Aussichten eher uneuphorisch. Eines Nachts hat Anna daher sogar schon geträumt, wir hätten ein paar Bären am Straßenrand gesehen und ich wäre einfach stumpf dran vorbei gefahren. Da mein erster (echter) Bär nach wie vor auf sich warten lässt wird das natürlich nicht passieren, aber ganz unrecht hat sie dennoch nicht - ich bin deutlich schwerer zu beeindrucken, als es noch vor 2-3 Jahren der Fall war. Die „schönen Aussichten“ sind mir mittlerweile ziemlich gleichgültig, nicht jedoch das Gesamtpaket, was dahinter steckt: Spontanität, Simplizität, Freiheit, Herausforderungen, Abenteuer. 

In Jasper buchten wir uns schließlich zum ersten mal seit einer Woche wieder auf einem Campground ein. In Nationalparks ist das eigentlich Pflicht, aber es ist hier deutlich einfacher irgendwo in einer dunklen Ecke zu übernachten, als es in Australien der Fall ist. Und Anna kann sich mit ihren 159,5cm eh ziemlich gut verstecken… sorry das musste jetzt sein! Nur eine heiße Dusche und ein großes Lagerfeuer ist manchmal zu verlockend, um am Campground vorbei zu fahren.  Und die Entscheidung war gut, denn an der Einfahrt zum Campground lief uns ein großer, majestätischer Elch am Auto vorbei - direkt neben dem Warnschild mit einem demolierten Auto darauf. In der Paarungszeit sind Elche oft aggressiv, oder wie der Nerd-Ranger am Infocenter sagte, „he will happily smash your car into bits and pieces!“. Das Exemplar hier war aber ganz entspannt und schob sein gewaltiges Geweih ganz gemächlich an Blubber vorbei.

In Jasper stand eine Gruppe von Rentnern an der Straße und spielte erstklassigen Bluegrass. Vor allem die Oma an der Geige war extrem gut und die Gruppe machte einfach gute Laune - so lange habe ich Straßenmusikern wahrscheinlich noch nie zugeschaut. Nach einer weiteren höchst illegalen Nacht am See besuchten wir noch den Maligne Canyon bei Jasper, bevor es auf den Weg nach Hinton ging. Die Fahrt von Jasper nach Hinton war schließlich meine bisher schönste in Kanada. Ja, hier kam sogar ich mal ins staunen! Ein kitschiger See mit hügeligem Nadelwald im Hintergrund links, dürres gelbrotes Grasland und schroffe Felsen rechts - man konnte es unmöglich alles auf ein Foto kriegen. Einen kleinen Abstecher machten wir noch zu den Miette Hotsprings, bevor wir unser Nachtlager auf dem Walmart-Parkplatz in Hinton aufschlugen. Die Supermarktkette ist unter Reisenden dafür bekannt, dass man meist problemlos auf dem Parkplatz nächtigen kann.

Nach etwas Shopping ging es am nächsten (Nachmit)Tag schließlich auf die „scenic route“ 40 gen Norden. Es ging durch trockenes Buschland an den letzten Ausläufern der Rockies entlang, bis wir an einem einsamen Flussbett einen schönen Platz für Nacht fanden. Der perfekte Ort für einen Carwash! Einsam blieb es allerdings nicht lange, da sich schon bald eine Gruppe Harleys knatternd zu uns gesellte. Wo kommen die denn her!? Hier trafen zwei Klischees aufeinander: Freundliche Kanadier oder knallharte Rocker? Schwarze Lederklamotten, Jägermeister und Bierbäuche - einer der Jungs hat seinen Sohn sogar Harley getauft. Die witzige Truppe war aber super nett und wir grillten gemeinsam Würstchen am Lagerfeuer. Gegen 21 Uhr verzogen wir uns schließlich ins Auto, da ab dieser Zeit die vielen Bären in der Gegend aktiv werden.

Vorgestern stand Auto fahren auf dem Programm. Die Gegend wurde immer rauer und uneinladender, je weiter nördlich wir kamen. Ein Holz-LKW hatte seine Ladung am Straßenrand verloren, staubige Baustellen dominierten Aussicht. Nach langem Umherirren auf privaten Farmstraßen nächtigten wir schließlich vor dem Schwimmbad in Beaverlodge, einem kleinen Ort hinter Grande Prairie. Schwimmen und Duschen für 8 Dollar ist schließlich besser als 25 Dollar für einen Campground, bei dem die Duschen in der Nebensaison bereits geschlossen sind. Ich war jedoch froh, aus dem touristischen Gebiet der Rocky Mountains raus zu sein. Endlich keine Horden Digitalchinesen auf jedem Parkplatz und „NO!“-Schilder an Steckdosen in öffentlichen Gebäuden mehr.

Gestern passierten wir schließlich die Grenze von Alberta zurück nach British Columbia, und ab Dawson Creek beginnt der „Alaska Highway“ in den rauen Norden. Von da aus war es auch nicht mehr weit nach Fort St. John - ein Teilstück der Strecke fuhren wir über den ehemaligen Alaska Highway mit einer historischen Holzbrücke. Als Fort St. John am Horizont auftauchte hatte ich ein flaues Gefühl im Magen - das ist sie also, meine selbst gewählte Heimat für hoffentlich mehrere Monate. Irgendwie größer, als ich gedacht habe. Alles ist weitläufig asphaltiert und Staub liegt in der Luft. Anna nahm schließlich eben einen Bus nach Edmonton, um weiter in den Osten zu reisen. Es waren tolle 17 Tage Roadtrip, und trotz des großen Altersunterschieds kamen wir prima miteinander aus. Nun bin ich wieder alleine, und mir wird so langsam das Ausmaß meiner Pläne bewusst - ich muss gestehen, ich bin etwas nervös!

Am Visitor Center bekam ich erste Tipps und ein „relocation package“, einen Haufen Broschüren für Leute, die nach Fort St. John ziehen. Die junge Frau erzählte mir, sie würde hier das doppelte verdienen, wie die Kollegen zwei Autostunden weiter südlich. Das Wetter sei für maximal 4 Tage berechenbar, und -20° laut Prognose würden im eisigen Wind etwa gefühlten -35° entsprechen. Ich bekam noch Adressen, Tipps und Erfahrungen ins Gesicht geschleudert.
Mein Ziel ist es, hier einen „Campjob“ zu kriegen. Das bedeutet, in einem Camp irgendwo in der Wildnis zu wohnen und zu arbeiten. Dafür gibt es genau zwei Gründe: Erstens finanziell - Im Camp arbeitet man etwa für 14 Tage ununterbrochen, bevor man wieder eine Woche frei hat. Da British Columbia keine Grenzen für Wochenarbeitsstunden hat, wird in der Regel mehr als 8 Stunden pro Tag gearbeitet, und zum ohnehin schon sehr guten Stundenlohn gibt es sogenannten „Overpay“. Der zweite Grund ist natürlich der Erfahrungswert - ein extremeres Erlebnis als Arbeit auf winterlichen Ölfeldern kann man in Kanada wohl nicht machen. Da kann der Dödel aus der N24-Reportage einpacken, der war nämlich im Sommer da!

Ganz so einfach ist das ganze natürlich nicht. Es gibt einige Hürden zu meistern, und ich bin auf mich alleine gestellt - irgendwie gibt es sonst nämlich keinen ebenso Verrückten und dementsprechend schwer ist es, an Informationen zu kommen. Ein paar Wochen habe ich noch, bevor es im Auto zu ungemütlich wird, und ich mir eine teure Wohnung suchen müsste. In Fort St. John lebt man, um Geld zu verdienen. Öl und Gas geben der Industriestadt den Spitznamen „energetic city“, das Stadtbild ist geprägt von bärtigen Typen in dreckigen Pickups. Mein Zuhause ist der örtliche Walmartparkplatz, mein Badezimmer das Schwimmbad und mein Büro ist der eine McDonalds, der doch tatsächlich eine ganze Steckdose hat. Auf welche der drei Adressen ich mein Auto ummelde, weiß ich noch nicht. Zum Glück gibt es Photoshop. Wie ich Blubber bei bis zu -40° am Leben halte oder wo ich ihn dann abstellen kann ist auch noch ungewiss. Ich muss mir außerdem einen kanadischen Führerschein besorgen und ein paar Sicherheitskurse absolvieren, bevor ich meinen Lebenslauf anpassen und verteilen kann. Auch meine Kleidersammlung schreit eher nach Strand und Cocktails als nach eisigen Pipelines. Drückt mir die Daumen, dass ich das alles halbwegs so gebacken kriege, wie ich es mir vorstelle!

Flo

Die letzten Kilometer in den Norden.
Die letzten Kilometer in den Norden.

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