Und plötzlich Cowboy

Kuckuck!
Im Spülwasser schwimmt ein toter Käfer. Meine Hände freuen sich über das warme Wasser, welches das Pflaster der offenen Blase an meinem Daumen ablöst. Ich bin doch gerade mal 3 Tage hier – wie werden meine Hände denn erst nach 3 Monaten aussehen? Zweifel kommen auf, ob ich es wirklich über eine so lange Zeitspanne durchziehen kann. David kommt schnaufend aus dem Garten und wünscht mir eine gute Nacht. Morgen früh um 7 warten wieder Milch und Weetbix auf mich, das typisch australische Müsli in Form eines Spülschwammes, wie ich in diesem Moment feststellen muss. Ich schnappe mir meine Kopflampe und mache mich auf den Weg zu meinem Wohncontainer, wobei etliche Spinnenaugen wie LEDs am Boden aufleuchten. Laut David wohnen auf der Farm ausschließlich „German-eating spiders“, aber gestern bin ich auch schon fast in das Netz einer Redback gerannt. Das Roastbeef liegt schwer im Magen – Zeit für eine eiskalte Cola. Ich durchsuche den Filmordner auf meinem Laptop mal wieder nach unbekanntem Material – viel ist nicht mehr übrig. Es wird Zeit, dass ich Gesellschaft hier bekomme. Ich fange spontan die zweite Staffel von Shameless an und versinke im bequemen Sessel. Es ist bereits 1 Uhr und saukalt, als ich mich zum Schlafen in den Van begebe. Das große Doppelbett im Schlafzimmer des Wohncontainers habe ich bisher links liegen gelassen – zu viele Mosquitos, zu viele (eine) große Spinnen und zu viele Federn, die sich in den Rücken bohren. Das Getrappel zweier Kängurus verdrängt das ferne Muhen der Kuhherden, als das Land der Träume mich aus der Wüste reißt.


Alleine an der Turquoise Bay
Vor einer Woche noch stand ich am Leuchtturm vom Exmouth, der so hoch gelegen war, dass es Handyempfang zum Hochladen der letzten Blogeinträge gab. Am Horizont des knallblauen Meeres waren ab und zu rundliche Objekte und kleine Fontänen zu sehen – Wale, die jährlich zur Blüte des Ningaloo Reef nah an die Küste kommen. Das Ningaloo Reef ist das größte Küstenriff der Welt, mit bloßem Auge vom Strand aus zu erkennen. Wenn man die Landzunge nach Exmouth bis zum äußersten Norden durchfährt und anschließend küstennah wieder gen Süden abbiegt erreicht man den berühmten Cape Range Nationalpark. Hier gibt es unzählige Traumstrände und buchten, die zum Schnorcheln einladen. Ich war ein wenig unentschlossen, da Zeit und Geld langsam knapp wurden und die Campingplätze des Nationalparks voll waren. Schließlich investierte ich ein halbes Vermögen in einen schönen Campingplatz für die Nacht direkt vor dem Park, wo ich wieder mal das belgische Pärchen traf, die mich zu verfolgen schienen. Frisch geduscht, mit sauberer Wäsche und aufgeladener Elektronik kaufte ich mir schließlich ein Tagesticket für den Park und besuchte zunächst die bekannte Turquoise Bay. Es war Flut, sodass das Riff einige Meter weit draußen war. Ich schnappte mir mein billiges Schnorchelset, welches ich auf Ko Tao erworben hatte und seitdem in meinem Rucksack vergraben war. In der Turquoise Bay kann man sich von der Meeresströmung über das Riff treiben lassen, sollte jedoch ab einem bestimmten Punkt wieder gen Küste schwimmen, wenn man nicht als Ken im Puppenhaus irgendeines Wales im indischen Ozean enden möchte.

Voll im Trend
Meine Knie sind noch trocken, als mir die ersten Fische an den Beinen vorbei schwimmen. Unterwasser taucht man dann in eine komplett andere Welt ein. Das Riff ist wenige Meter unter mir und ich weiß ich gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Auf den schwarz-weiß gestreiften Fisch mit der eleganten Flosse? Auf den lila-grünen Fisch mit den lustigen Glubschaugen, der aus irgendeinem Grund nur mit den Seitenflossen schwimmt? Auf das merkwürdige Unterwassergehirn rechts von mir? Auf das Wasser, welches langsam in meine billige Taucherbrille läuft und in der Nase kitzelt? Schnaufend und erschöpft erreiche ich wieder die Küste. Wasser ist einfach nicht mein Element, wie Julius immer so schön gesagt hat. Ich machte noch einige atemberaubende Schnorchelsessions, wobei ich stets neue Dinge entdeckte. Einmal hat mir ein kleiner schwarzer Fisch in die Wade gebissen. Ein wirkliches Highlight blieb jedoch aus – Mit etwas Glück sieht man am Ningaloo Reef auch einen scheuen Riffhai, einen Mantarochen oder eine Schildkröte. Meine Kamera nahm ich nur einmal ganz kurz mit ins Wasser, da sie ja schon einen Knacks weg hatte und ich mit ihr nicht wirklich voran kam.


Auf dem Rückweg traf ich mal wieder die Belgier. Sie empfahlen mir Oyster Stack weiter im Süden, wo sie einen Hai gesehen hätten. Ja ja, ein Hai, ist klar. Ich entschied mich dennoch, dort vorbei zu schauen und wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil, Oyster Stack war der Wahnsinn! Das Riff beginnt direkt, wenn man ins Wasser geht und befindet sich nur einen knappen Meter unter der Wasseroberfläche. Die Artenvielfalt war beeindruckend. Der Hai zeigte sich nicht, jedoch sah ich Fische in allen Formen und Farben, große blaue Seesterne, etliche Seegurken, komische Stachelviecher und und und. 
Ich war etwa 30 Meter von der Küste entfernt und wollte eigentlich gerade wieder an Land schwimmen, als ich dermaßen Grinsen musste, dass mir Salzwasser in die Brille lief - Ein paar Meter vor mir schwamm doch tatsächliche eine Schildkröte! Ich besuchte das ästhetische Tier, welches sich überhaupt nicht von mir stören ließ. Wir cruisten einige Miuten zusammen über das Riff und ich konnte die Schildkröte sogar anfassen, was mit ein paar kräftigen Schimmbewegungen und einem skeptischen Blick entgegnet wurde. Irgendwann tauchte ich wieder auf und musste feststellen, dass ich ganz schön weit von der Küste entfernt war. Auf dem Rückweg musste ich höllisch aufpassen nicht das Riff zu berühren, welches aufgrund des niedrigen Wasserstandes nun teils fast an der Wasseroberfläche war. Glücklich packte ich meine Sachen und machte mich wieder auf den Weg. Erst in der Abenddämmerung verließ ich Exmouth gen Süden. Der Cape Range Nationalpark ist auf jeden Fall einen Besuch wert und ein Muss, wenn man die Westküste bereist.

Auf einem Rastplatz traf ich Julie und Roger aus Adelaide wieder. Die beiden netten Rentner reisen für einige Wochen mit ihrem faltbaren Wohnanhänger durchs Land. Ich hatte sie bereits bei Port Hedland getroffen. Wir kamen ins Gespräch und schließlich verbrachte ich den ganzen Abend in ihrem rollenden Zuhause, wo ich mit Tee und allerlei gekühlten Leckereien verwöhnt wurde und wir uns angeregt unterhielten. Wir verstanden uns super und ich wurde sogar eingeladen, Weihnachten bei ihnen in Adelaide zu verbringen. In Deutschland undenkbar, doch Australier sind einfach viel aufgeschlossener und gastfreundlicher als die Menschen daheim. Ich werde sie auf jeden Fall besuchen, falls ich noch einmal durch Adelaide reisen sollte.

Alles Roger im Klappanhänger


Mein Ziel hieß Carnarvon. Hier sollte es laut National Harvest Guide und laut dem, was ich so gehört habe Arbeit geben, die für eine Visumsverlängerung zählt. Auf dem Weg dorthin passierte ich den südlichen Wendekreis (tropic of capricorn), der sich momentan jährlich um 14,4m nach Norden verschiebt. Ich habe also gerade offiziel die Tropenzone verlassen, als ich mal wiedermal Schild am Straßenrand sah: „Manberry St 14“. Spontan entschied ich mich mal wieder mein Glück zu versuchen, drehte um und fuhr die Sandpiste in die Wüste hinein. Ich kam problemlos vorwärts, da der Besitzer offenbar groben Kies auf die sonst kniffligen Sanddünen gekippt hatte. Irgendwann stand ich vor einem verschlossenen Eisentor. Egal, was habe ich schon zu verlieren? Ich öffnete es und fuhr weiter – bis zum nächsten Tor. Auch dort frimelte ich die massive Kette ab und fuhr weiter. Wenig später stand ich vor einem dritten Tor. Shits gettin' serious! Ich passierte es und erreichte schließlich eine kleine Farm, wo ich zunächst zwei kopflose Kühe in einer Scheune am Gabelstapler hängen sah. Wo bin ich denn hier gelandet? 
Ich kam ins Gespräch mit David, dem Besitzer der Station. Es ist eine für australische Verhältnisse kleine Viehzucht – lediglich 211.000ha umfasst das Gelände. Winzig, oder? David schmeißt den Laden alleine, hatte jedoch gerade einen Freund zu Besuch, der bald heiraten wollte. Dafür bräuchten sie noch Fleisch, weshalb sie eine Kuh erschossen hätten. Da David gerne Fleisch isst hat er gleich noch eine Zweite erschossen und dazu gehängt – wenn man eh schon mal dabei ist! Wir unterhielten uns ein wenig und ich wurde auf einen Tee eingeladen. Eigentlich suche er nur Leute zum Wwoofen, doch er könne mir neben Essen und Unterkunft auch 100 Dollar am Tag anbieten. Das ist nicht wirklich viel Geld, doch für den Anfang nicht schlecht. 

Farmhaus Manberry Station

Mein Wohncontainer
Im Farmhaus 1

Im Farmhaus 2


Es war schon recht spät, weshalb David und sein Freund die Monobraue Cyne sich wieder aufrafften. „Wanna help to rip off that cows? Hahhhaaah!“ Ich konnte natürlich schlecht nein sagen und hatte wenig später ein großes Messer in der rechten Hand, den glibbrigen Kuhpelz in der linken Hand. Ich habe also eine Kuh geschält – kann auch nicht jeder von sich behaupten! Anschließend hat Cyne die Motorsäge ausgepackt und begann, das Vieh zu vierteln. David und ich mussten dabei die Rippen auseinander ziehen. Cyne sägte schief und kam auf unsere Seite der Kuh, um hineinschauen zu können. Dabei stellte er die Motorsäge natürlich nicht ab, welche fleißig weiterlaufend Kuhstückchen über meine Klamotten spuckte. Anschließend mussten wir die Kuhviertel auf den Truck tragen. Ich weiß nicht wie schwer sie waren, aber eine viertel Kuh kommt definitiv an die Grenzen von dem, was ich heben kann – ich schaffte es jedoch gerade so, ohne sie in den roten Staub zu werfen. 

Heute schon ne Kuh geschält?



Voller Kuhgespladder aber überglücklich fuhr ich wenig später wieder vom Hof. Ich habe einen Job! Die Situation ist für mich optimal – Ich muss nicht in den noch kalten Süden reisen, kann meinen illegalen Wagen auf einem Privatgrundstück parken, sorge für eine Verlängerung meines Visums und mache Erfahrungen, für die ich hierher gekommen bin. Lediglich die Bezahlung könnte besser sein und ein wenig Gesellschaft wäre nicht schlecht, aber auch das sollte sich langfristig ändern. In den letzten Tagen war ich zunächst noch als Wwoofer auf der Farm, ab morgen beginnt dann die bezahlte Arbeit. Bereits in den ersten Tagen habe ich unzählige Eindrücke gesammelt. Das Farmleben in Australien ist nicht mit dem Leben auf einem Bauernhof in Deutschland vergleichbar, soviel sei verraten! Die Wochenenden habe ich immer frei, um zum Einkaufen nach Carnarvon oder zum berühmten Strand nach Coral Bay fahren zu können. Unter der Woche bin ich jedenfalls von nun an mitten im Busch und nicht erreichbar – nur am Wochenende vielleicht, je nachdem wo ich dann hinfahre. Wenn ich das nächste mal Empfang habe werde ich euch von meinem Alltag als Cowboy auf der Manberry Station berichten! Bis bald und vergesst mich nicht,

Flo


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Kommentare: 1
  • #1

    Omup (Donnerstag, 16 April 2015 23:02)

    Pelz über Ohren ziehen kannste nun gut, ja? ;) Also dann "Lucky Floh" hoffentlich klappts mit deiner Visum-Verlängerung, und dass dir als Cowboy sein nichts passiert!