Another Day, another dollar

Es ist 2 Uhr nachts und ich sitze irgendwo mitten im kanadischen Busch in meinem Firmentruck. Pumpe 606 neben mir macht Geräusche, als hätte wieder jemand die Öffnung für Öl und Diesel verwechselt. Naja, noch läuft sie. Ich habe immer ein paar Minuten Zeit, ehe wieder 35 Kubikmeter Wasser auf 26 Rädern angerollt kommen und in den zu groß geratenen Swimmingpool hinter mir gepumpt werden wollen. Die Zeit verbringe ich mit Lesen, Film schauen oder eben Blog schreiben. Es ist meine zweite Nachtschicht und der Pseudo-Jetlag lässt mich jeden Satz drei mal umformulieren, ehe er halbwegs lesbar scheint. Zeit noch eine Cola aus dem Schneehaufen nebenan zu holen! Der Schneehaufen hat sich gegen das Autodach durchgesetzt, da es auf der Heimfahrt zu oft Cola geregnet hat. 

Heimfahrt? Mein temporäres Zuhause ist ein Hotel in Grande Prairie (Alberta). Da es auf meiner Jobsite kein Camp gibt, werden die Arbeiter hier untergebracht. Das macht aber nichts, da die Firma die großzügige Unterkunft und täglich noch 50 Dollar für Verpflegung bereitstellt. Die Schichten sind etwa 15 Stunden lang und so kann man täglich nächtlich 3-400 Dollar in die Tasche stecken - mein bisher lukrativster Job auf Reisen. Und einer der Chilligsten noch dazu, auch wenn man bis auf Arbeiten und Schlafen eigentlich nicht viel machen kann. Ich sitze die meiste Zeit in meinem Firmenwagen (Ford F350 Heavy Duty) und schlage irgendwie die Zeit tot. Wenn ein Truck kommt muss ich den Schlauch anschließen, Ventile öffnen und die Pumpe regulieren. Regelmäßige Checks über Funk, Tank- und Besorgungsfahrten lockern das Ganze ein wenig auf. Ab und zu wird ein Hammer oder Flammenwerfer ausgepackt, wenn wieder Irgendetwas eingefroren ist. Doch das ist noch nicht oft vorgekommen - es ist bisher wohl der mildeste Winter seit 1997. Gestern hat es sogar ein wenig geregnet, und die Offroadpisten sind nun mit einer Eisschicht überzogen. Das freut mich tierisch! Ich werde immer besser darin, effizient um die Kurven zu driften. Denn um zur Jobsite zu kommen, muss ich ein gutes Stück südlich von Grande Prairie in den Busch abbiegen und noch knapp 20km auf ehemaligen Forststraßen zurücklegen. Enge Kurven, einspurige Brücken, Steigungen und ein Bahnübergang liegen auf dem Weg. Je nach Uhrzeit (Um 7 und 19 Uhr ist Schichtwechsel on site) ist auf den Pisten auch Einiges los, über das Funkgerät werden unermüdlich Positionen durchgegeben und Vorfahrten geregelt. Man sollte dem Genuschel der Trucker dabei immer gut zuhören, sonst kommt einem am Hang plötzlich ein 50-Tonner entgegen gebrettert und man muss mit 70 Sachen in den Graben ausweichen. Aber das passiert mir auch nur einmal.

Nun ist es schon 4 Uhr, und für meinen Schichtwechsel ist bereits Verspätung angemeldet worden. Vielen Truckern steht die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. Einen musste ich eben aufwecken, ein anderer hat spontan seine Schicht verkürzt und sich mit den eleganten Worten „Gotta go home, wash mah balls“ verabschiedet. Die Hitze der Motoren macht meine vier Stellplätze zu Schlammgruben, der Fußraum meines Trucks kann durchaus als Wertmilderung bezeichnet werden. Aber das juckt hier keinen. „Welcome to canada, a country full of friendly people who simply don’t give a shit“ beschreibt die kanadische Mentalität ganz gut. Ich schmeiße Helm, Brille und Handschuhe aufs Armaturenbrett, mache den Motor an und denke an meinen ersten Einsatz im Busch zurück.

Vor zwei Wochen wurden Hannes und Ich spontan vom Yard ins Büro gerufen. „frozen line“ waren die ersten Worte, die man uns zu verstehen gab. Ein Superheater (riesiger fahrender Flammenwerfer, der das Wasser erhitzt) sei ausgefallen und eine der beiden Leitungen zum Frack war eingefroren. Die Leitung galt es so schnell wie möglich wieder frei zu kriegen, um der Firma 6-stellige Umsatzausfälle zu ersparen. Wir düsten also irgendwo östlich von Dawson Creek in den Busch und bekamen anstatt einer Begrüßung einen Hammer in die Hand geworfen. Hammertime! 2 Kilometer seien noch zu machen, sagte der sichtlich erschöpfte Supervisor. Klingt behämmert, war es auch. Der Schlauch wurde an den Verbindungsstellen aufgeschnitten und so lange bearbeitet, bis einige Kubikmeter hellbrauner Slush angeschossen kamen. Braun? „beaver shit“ sagte einer der Jungs. Biber sind die Ratten Kanadas, sie verwandeln die Gewässer oft in braune, miefende Suppe und Biberfieber ist nicht so lustig wie es sich anhört. Am Anfang der Line begann man nun, 60° heißes Wasser durchzupumpen und die Kacke war wortwörtlich am dampfen.

Um die Verbindung zu erneuern, mussten wir anschließend die Line mit den Trucks in die Länge ziehen und im Graben auf dem Schlauch parken, um die Wasserzufuhr vorübergehend zu stoppen. Nun heißt es schnell sein - mit 6 Leuten gleichzeitig haben wir die Verbindung hergestellt und den Sicherungsring aufgesteckt, ehe sich zuviel Druck aufbaut. Der Vorgang sollte sich an dem Tag noch ein paar mal wiederholen, gegen Abend wurde es etwa -20° kalt und ich hatte „Wasser“ in den Boots. Dennoch konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen, als Hannes bei jeder Gelegenheit seine gefrorenen Hände in die warme Bieberscheisse hielt und erleichtert „aaaahh“ sagte. Mein Coverall war am Ende so steif gefroren, dass ich Probleme hatte in meinen Truck einzusteigen. Ein knallharter Arbeitstag, der aber offenbar die absolute Ausnahme ist. Fotos gibt es davon leider keine.


Am nächsten Tag durfte ich dort direkt noch einmal hinfahren, da es einen „major fuckup“ gab - einer der Jungs hatte in der Nacht noch seinen Truck im Tümpel versenkt. Ihm war nichts passiert, aber der Truck ist „well done“. Ich musste ihn abholen und zum Urintest zurück nach Fort St. John fahren. Das nicht wirklich zufriedenstellende Ergebnis wurde anschließend im Büro diskutiert und ich durfte ihn noch nach Hause fahren, was in Kanada auch mal eben wieder 5 Stunden sind. So kriegt man auch seine 15 Stunden voll… Mein suspendierter Kollege zeigte mir Zuhause noch seinen Truck - einen 6 Liter Turbodiesel mit übertrieben großer „straight pipe“ als Auspuff - mir taten die Nachbarn leid. So einen kranken Sound habe ich noch nie gehört, das Teil hörte sich an wie ein Düsenjet auf Koks.

Rückfahrt nach Fort St. John - wenns stinkt weißt du, du bist in Taylor!
Rückfahrt nach Fort St. John - wenns stinkt weißt du, du bist in Taylor!

Es ist mittlerweile 8 Uhr morgens und meine „cross shift“ hat mich abgelöst. Ich bin auf dem Weg zurück zum Highway 40 und das erste Dämmerlicht taucht den Schneebedeckten Smoky River in ein magisches Licht. Die Lüftung stelle ich aus, da meine müden Augen bereits im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Fahrzeuge brennen. Auf der Rückbank finde ich noch zwei Stücke Pizza, die sich nicht entscheiden können ob sie lecker sind oder nicht. Nennt man das jetzt eigentlich Frühstück oder Abendessen? Ich hole einen anderen Truck ein, der von nun an alle Funksprüche für mich mit übernehmen muss. „Loaded pickup 250 tracks, for a couple“ krächzt es durch das Mikrofon, im Hintergrund läuft Countrymusik. Wir passieren das Kontrollhäuschen kurz vor dem Highway, aber die Kröte die dort arbeitet scheint sowieso eine große Verfechterin der kanadischen Mentalität zu sein. Ich biege schließlich auf den Highway gen Norden und will gerade das Funkgerät ausschalten, als der Truck vor mir sich noch einmal zu Wort meldet. „Have a good night guys. Another day, another dollar.“


Bis die Tage, euer Flo



P.S.: Mittlerweile bin ich wieder in Fort St. John, der Job ging leider nur eine Woche. Bis zum Neujahr sieht es mit Arbeit eher mau aus und ich weiß noch nicht, wo und wie ich die Feiertage verbringen werde... Vorschläge? :)


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Kommentare: 2
  • #1

    Schlabberhannes (Donnerstag, 24 Dezember 2015 17:56)

    Frohe Weihnachten Digga!

    Hoffentlich keepst du dich busy. Man sieht sich nächstes Jahr :-)


    Ps: dein Weihnachtsgeschenk hängt am Kühlschrank :D :D

  • #2

    Reisefloh (Donnerstag, 24 Dezember 2015 22:51)

    Haha ja, unübersehbar! Lasset krachen und immer schon den Hasen reinmachen!