Im Westen nichts Neues

Das erste, was ich von der amerikanischen Zivilisation zu Gesicht bekomme ist natürlich die amerikanische Flagge mit ihren 50 weißen Sternen, welche sich auf dem 15 Meter langen, weißen Flügel des ansonsten pinkfarbenen Flugzeugs spiegeln, das als eines von nur 5 Flugzeugen der isländischen Billigairline WOW-Air den Namen „Dad“ trägt und nach 4124 Kilometern Flug über den Atlantik, Grönland, noch mehr von diesem Atlantik und Kanada unerwartet sicher in Boston gelandet ist und den 314 Millionen Amerikanern einen 27-jährigen Deutschen ausliefert, der gerne mal viel zu lange Sätze mit unnötigen Zahlen darin schreibt und nichtmal damit aufhört wenn er merkt, dass die Sätze zu lang werden, denn warum sollte er auch, es kann ihm ja keiner verbieten und am Ende macht er doch sowieso was er will, mit seinen Sätzen, seiner Zeit, seinem Leben.

Das Flughafenmanagement hatte den Film „Terminal“ anscheinend noch nicht gesehen, somit suchte ich vergeblich nach einem Sofa oder zumindest einer Bank und verbrachte meine erste Nacht in den Staaten stilecht im Sitzen auf einem Stuhl an Terminal 3. Zwei Tage hatte ich Zeit für Boston, ehe mein Bus nach New York City gehen sollte. Ich hatte noch keinen Fuß in die Stadt gesetzt, als mir bereits auf der Treppe der Ubahn-Station die pure Amerikanizität ins Gesicht geschleudert wurde - der Geruch von Abgasen und Fast Food gesellte sich zur Akustik aus Sirenengeheul und geschäftigem Treiben, und spätestens als mir auf den letzten Stufen der Treppe bereits wieder 3 amerikanische Flaggen ins Auge fielen war klar: Flo du bist in Amerika.

Ich ließ mich treiben und gönnte mir zwei übertrieben große Dosen Eistee für zusammen einen Dollar, was momentan etwa 89 Eurocent entspricht. Auf der Rückseite der Dosen waren so ziemlich alle Nährwertinformationen aufgelistet: 0% Fett, 0% Protein, nur den Zucker hatte man irgendwie vergessen. Macht aber nix, durch ordentlich Fett und Proteine im nächsten Fastfoodladen kommt man ja dann insgesamt wieder auf eine ausgewogene Ernährung. Normalerweise revidiere ich meine Klischees über Länder und ihre Menschen, wenn ich dort reise, aber in Amerikas Großstädten ist das irgendwie nicht nötig.

Boston selbst hat touristisch gesehen nicht sonderlich viel zu bieten. Der etwa 4km lange „Freedom Trial“ markiert durch eine rot eingemauerte Linie eine Route durch die Stadt, an der so ziemlich alles von Bedeutung zu sehen ist. Ein Highlight ist mit sicherlich das mit 220 Jahren älteste seetaugliche Schiff der Welt, die USS Constitution, die allerdings momentan im Trockendock liegt. Auch das durchweg rot gepflasterte Stadtviertel „beacon hill“ ist sehenswert. Aber für mich war es eher das Feeling im Stadtgetummel, was mich fasziniert hat. Wenn ein grünes Männchen zuhause vorbeikäme und einen innerhalb einer Sekunde irgendwoanders hin beamen würde - wäre es hier, wüsste man sofort man ist in Amerika. Klingt komisch, ist aber so. Wer bei dem „grünen Männchen“ jetzt mit den Augen gerollt hat, der sei daran erinnert, dass angebliche Ufo-Sichtungen und Alieninvasionen in Film und Buch fast immer nur in den USA stattfinden. Ist doch auch logisch, was will so ein Alien auch in Russland oder Namibia. God bless america!

Den Bus nach New York hätte ich fast verpasst. Es war warm und die 25 Kilo meines Dufflebags schnitten sich in meine Schultern. Nur widerwillig überholte ich den Knackarsch vor mir, um mehr oder weniger orientiert in Richtung Busterminal zu hetzen. Pfff Ubahn, die eine Station kann ich auch laufen! Die Sonne brannte und der Schweiß tropfte mir vom Kinn. Kurz vor dem Terminal kam plötzlich der Knackarsch wieder aus einer Seitenstraße und wackelte seelenruhig vor mir her. Damnit! Normalerweise freue ich mich ja über Knackärsche, aber ich bin definitiv einen ordentlichen Umweg gelaufen. Die Fahrt nach New York dauerte 5 Stunden, und bereits nach der Hälfte der Zeit waren die ersten Wolkenkratzer Manhattans aus dem Bus zu sehen, der sich mühselig und unter stetem Hupen durch den massiven Verkehr in Richtung Zentrum vorschob. So einige Streets und Avenues und unzählige Hupkonzerte später war es schließlich soweit: Die Tür ging auf und ich war in der Stadt, die niemals schläft.

Was für ein Gewusel. Aber warum stehen hier so viele Bäume? Ich dachte irgendwie immer, New York würde nur aus Beton und Stahl bestehen. Tatsächlich aber ist die Stadt ebenso grün wie gelb, und jedes zweite Auto am Broadway ist ein Taxi. Ich fand einen Eingang zur Subway und checkte wenig später in meinem Hostel im Stadtteil Queens ein. Die Gegend dort sieht eigentlich genauso aus wie bei GTA 4 - in der MItte der Straße steht auf nackten Stahlträgern eine zweistöckige Subwaytrasse, und alle paar Minuten fährt unter übertrieben lautem Rappeln und Knallen ein Zug vorbei. Geil dachte ich, typisch New York! Es sollte keine 2 Tage vergehen, bis mir das Getöse auf die Nerven geht.

Wie schon in Island hatte ich Glück mit dem Wetter, und diesmal war es nicht nur trocken sondern auch warm und ich konnte meine lange Hose ganz unten in der Tasche vergraben. Die Nacht brach an und ich machte mich auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Ich nahm einfach die erstbeste Subway, stieg irgendwo Downtown aus und ging zu Fuß zum Times Square. Die Atmosphäre dort bei Nacht ist wirklich magisch - zu jeder Uhrzeit ist es taghell und überflutet von Menschen aus aller Welt. Eine große rote Treppe ist Treffpunkt und Aussichtspunkt zugleich. Ich fand eine Lichtung im Wald aus Selfiesticks und machte ein Selfie setzte mich stumpf für ein Stündchen dort hin. Leben möchte ich hier definitiv nicht, aber man sollte es echt mal gesehen haben.

Am nächsten Tag hatte ich mich mit Sebastian und Mike verabredet. Beide hatte ich noch nie gesehen, aber vor meiner ersten großen Reise nach Australien habe ich immer Sebastians Reiseblog verschlungen, und wie der Zufall es so will trifft man sich dann eben drei Jahre später mal in New York. Ich hatte die Größe der Stadt mal wieder unterschätzt und war viel zu spät dran - traf die Beiden dann aber zufällig auf dem Weg. So läuft es übrigens immer, wenn man sich in New York verabredet: Beide Parteien kommen zu spät. Das lässt sich nicht verhindern und gehört hier zum guten Ton. Zusammen mit Mike aus England und Marie-Liis aus Estland besichtigen wir schließlich ein großes amerikanisches Kriegsschiff. Es war „Fleet Week“ in New York, und wie wohl jedes Jahr zu dieser Zeit scheut die amerikanische Navy keine Kosten und Mühen, Leuten aus aller Welt zu demonstrieren, wie geil sie doch ist. God bless Amerika, und bitte auch den Panzer hier und das Sturmgewehr und den Humvee. Ich musste blinzeln, damit mir vor lauter Freedom nicht die Augen platzen. Trotz aller Klischees war es jedoch eine tolle Erfahrung. Das komplette Schiff inklusive der geladenen Fahrzeuge war zugänglich und die Besatzung stand bereit, um sich mit Fragen löchern zu lassen wie Schweizer Käse, der übrigens gar nicht so viele Löcher hat wie man meint, aber es gibt ja genügend Maschinenpistolen hier.
Besonders beeindruckt war ich von den zwei großen Hovercraft-Booten im flutbaren Rumpf des Schiffes. Sie können mehrere Panzer laden und die zwei Propeller, die ein Boot bewegen, haben jeweils 8000 PS. Im Führerturm eines Hovercraft kam plötzlich eine Soldatin vorbei und schaltete hektisch den Kontrollbildschirm ab, den wohl irgendein Kind versehentlich aktiviert hatte. Mit Ahnung von dem ganzen Kram könnte man hier wahrscheinlich eine Katastrophe anrichten - was wirklich verwunderlich ist für das Land mit den strengsten Flughafenkontrollen der Welt. An Deck befand sich schließlich noch ein Kipprotor-Wandelflugzeug mit senkrechter Start- und Landefunktion. Mit ungehemmter Euphorie erläuterte der Bordmechaniker im Bauch der Maschine alle Einzelheiten, die das Gerät so überlegen vielseitig machen und bestimmt noch dem Einen oder Anderen Land mit Ölvorkommen Demokratie und Freiheit bescheren können. „I’ll take one, how much is it?“ fragte ich den Soldaten schließlich, nachdem er seine Rede beendet hatte. „‚About 80 million each.“ Das Teil liegt also leider etwas über meinem Budget, auch wenn es sicherlich ein prima Reisefahrzeug für Kanada abgeben würde. An dieser Stelle muss ich dann wohl mal auf die Spendenfunktion rechts in der Sidebar hinweisen - noch 79,99 Millionen und es gibt hier ein paar ziemlich merkwürdige Einträge.

Natürlich standen auch die klassischen Touriziele New Yorks auf dem Programm. So liefen wir Stunden lang quer durch den riesigen Central Park, der den gestressten New Yorkern mitten in der Stadt eine Oase der Ruhe bietet. Der Kontrast ist faszinierend, denn auf den ausgiebigen Grünanlagen ist von der Großstadt wirklich nichts mehr zu spüren. An einer kleinen Brücke kam ein wilder Waschbär vorbei und schielte gierig auf meine Schokokekse, während ein Pärchen sich lauthals um ihre Zukunft stritt. Sie war dunkelhäutig und wollte Kinder, er aber nicht, und liebevolle Betitelungen wie „Nazi Stormtrooper“ wechselten den Besitzer. Wir sind uns nicht ganz sicher ob es doch Schauspieler bei der Probe waren, aber unterhaltsam war es allemal.

Wir machten außerdem den Fehler, am Samstag Mittag eines langen Wochenendes die Brooklyn Bridge zu besuchen, wo wir als Teil eines schier endlosen Zuges aus menschlicher Biomasse von einer Seite zur Anderen geschoben wurden. Eindrucksvoll war es dennoch, auch wenn ich mir die Brücke irgendwie größer vorgestellt hatte. Aber alleine die Vorstellung, wie sich dieses Bauwerk bei seiner Fertigstellung 1883 in das Stadtbild aus Segelschiffen und Pferdekutschen eingefügt hat ist faszinierend.

Ebenfalls auf dem Pflichtprogramm stand eine Fahrt mit der Fähre nach Staten Island. Die Fahrt ist gratis und man hat eine prima Sicht auf die Freiheitsstatue. Natürlich nur von einer Seite des Schiffes, welches aufgrund all der Menschen schon Schlagseite bekam. Da isse! Da isse! Günther mach mal Foto, das glaubt uns ja keiner! Mit jedem Selfie stieg mein Hass auf die Menschheit, sodass ich die Rückfahrt auf der anderen Seite der Fähre genoss. Pff, Freiheitsstatue. Das Teil ist meiner Meinung nach ohnehin total überbewertet. Der Haufen Kupfer aus Frankreich steht auf Platz 12 der höchsten Statuen der Welt. Und diese eine hier ist, befeuert durch den amerikanischen Nationalstolz, doch im Endeffekt nur so bekannt, weil sie so bekannt ist. Natürlich ergibt das Sinn.

Wirklich empfehlenswert ist die Fahrt auf einen Wolkenkratzer, um die Metropole aus der Vogelperspektive sehen zu können. Ich entschied mich für das Rockefeller Center, da man von dort auch den Central Park sehen kann und das Empire State Building Teil der Skyline ist. Ich traf mich dort mit Sebastian gegen 19 Uhr - eine gute Zeit, um die Stadt bei Tag, im Sonnenuntergang und schließlich bei Nacht zu sehen. Negativ aufgefallen ist mir dort mal wieder die Einstellung der Touristen: Im Schnitt waren zu jeder Zeit 3 von 4 Besuchern damit beschäftigt, Fotos zu machen. Das man dort oben 2-3 Bilder macht ist klar. Aber viele Leute kamen tatsächlich überhaupt nur dort hoch, um Fotos zu machen. Das eigentliche Erlebnis steht dabei völlig im Hintergrund. Jeder will möglichst coole Bilder, um sich bei Facebook in Szene zu setzen und man muss der Oma ja auch zeigen, was man alles Tolles gesehen hat. „Gesehen“ ist dabei schon grenzwertig, wenn man eigentlich nur durch den Fokus geguckt hat und der Oma genauso gut ein Bild aus dem Internet hätte zeigen können. Macht aber nix, Hauptsache jeder Tourist hat 5000 semi-professionelle Bilder von jedem Ort gemacht, die dann auf irgendwelchen Festplatten vor sich hin gammeln. Kann ja sein, dass einem irgendwann mal Jemand nicht glaubt, dass man hier gewesen ist. Ich war mal wieder froh, trotz Reiseblog lediglich eine Handykamera im Gepäck zu haben und stützte mich für eine Weile auf einen Betonpfeiler, um die Aussicht auf die Stadt zu genießen. Besonders spät abends, wenn der Großteil der Besuchermassen verschwunden ist und teilweise der Stadtlärm aus den Straßenschluchten zu hören ist, entsteht dort oben eine einmalige Atmosphäre.

Im Hostel lernte ich Eric „Mister Obama“ kennen, der Südafrikaner aus England brachte meine Lachmuskeln mit seinem grandiosen Humor immer wieder an seine Grenzen. Wir schufen den CBB, um gegen den CB ankämpfen zu können (muss man nicht verstehen) und besuchten zusammen das „American Museum of Natural History“, welches als eines der Besten der Welt gilt. Abends gab es oft Dosenbier im Hostel, wobei teilweise unter 12-15 Leuten keine Nationalität doppelt vertreten war. Ich versuchte eine gute Stunde, einem Amerikaner das Wort Eichhörnchen beizubringen und war kurz davor, für den australischen Pass eine Australierin zu heiraten. Beim nächsten mal. Nicht ohne Grund mussten die Mädels im Hostel vor einem mehr als nur schmierigen Inder beschützt werden - die Details erspare ich euch mal. Aber man lernt wirklich alle möglichen und unmöglichen Leute kennen, und auch wenn das Hostelleben nicht so verrückt ist wie in Australien gab es doch so einige unvergessliche Erlebnisse.

An meinem letzten Abend bin ich nochmal mit einer Gruppe aus dem Hostel losgezogen, um bei Nacht über die Brooklyn Bridge zu laufen. 25 Grad, kaum Leute und eine tolle Sicht auf die Stadt. Nach einem letzten Blick auf den Times Square bei Nacht machte ich mich dann schließlich auf den Weg zum JFK Airport, von wo aus mein Flieger nach Hawaii ging. Aber das, liebe Kinder, ist eine andere Geschichte…

Flo

P.S.: Reisetipps für New York:

  • Der Times Square ist bei Nacht sehr sehenswert, aber tagsüber einfach nur nervig.


  • Die Lage der Unterkunft ist nur in sofern entscheidend, als dass sie möglichst nah an einer Subwaystation liegen sollte. Zur Subway muss man dauernd, und außerhalb Manhattans lebt es sich oft günstiger und besser.


  • Eine Woche ist eine gute Zeitspanne, um die Stadt zu bereisen. Es gibt genügend zu sehen und wöchentliche Vorteilspreise für die Subway oder kombinierte Eintrittspässe.


  • An der 55. Ecke Broadway gibt es einen Pizzaladen, der 2 ordentliche Stücke Pizza + Getränk für 2,75 Dollar anbietet. Für New Yorker Verhältnisse absolut unschlagbar.


  • Viele Museen haben an einem bestimmten Wochentag freien Eintritt. Geheimtipp: Wenn man nach einem „Donation Access“ fragt, kommt man so ziemlich überall für einen beliebigen Betrag rein.


  • Um die Freiheitsstatue zu sehen, reicht eigentlich die gratis Fähre nach Staten Island. Sollte man doch nach Liberty Island übersetzen, lohnt sich das lange Anstehen zur Statue eher nicht, da man aus dem Inneren wohl kaum etwas sehen kann.


  • Nur am Times Square gibt es einen Stand, an dem ausgewählte Tickets für Broadway-Shows für den selben Abend bis zu 50% reduziert erhältlich sind. Zeit mitbringen und nach roten Flaggen mit „TKTS“-Schriftzug Ausschau halten.


  • Wie immer: Nicht zu viel planen und einfach mal ziellos drauf los laufen!



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