Noch mehr Zwiebeln

How are we today!

Nach Hause

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Kaum lässt man mal ein paar Wochen nichts von sich hören, wird die treue Fangemeinde hellhörig. Was ist passiert? Wurde mein Netbook geklaut? Bin ich in Gefangenschaft? Der Titel dieses Eintrags lässt vermuten, dass nichts extraordinär Spannendes geschehen ist. Noch immer bin ich bei der River Lodge in Carnarvon als Treckerfahrer professioneller Zugmaschinenbediener tätig. Fast jeden Morgen um 4:32 Uhr oder einer ähnlich neurotischen Uhrzeit bimmelt mein durchaus grässlicher Handywecker mich aus dem oft viel zu kurzen Schlaf. Dann schnappe ich mir noch schnell etwas zu futtern, klatsche mir meinen staubigen Hut auf den Schädel und suche in der Dunkelheit nach meinem Trecker.


Wenn die Sonne am Horizont aufgeht ist der Sessel im Führerhaus meines „John Deere“ Traktors bereits ordentlich warmgesessen. Die großen Reifen wirbeln Staub auf, aus dem Augenwinkel sehe ich Einschusslöcher im Landcruiser, der neben dem Feld auf dem Dach liegt. Vor mir leert gerade Mr. Wulli seine Körbe in den Bin. Der nette Vanuatuaner hat größere Arme als ich Beine habe, kann die Körbe aber keinen Zentimeter tragen. Bei etwa 90% Füllmenge beginnt dann der routinierte Schauspielakt: Die Zwiebeln werden ganz langsam in den Bin geleert, aber ein paar vorerst noch im Korb gelassen. Einen fachmännischen Blick und etwas Rumschieben der Zwiebeln später wird mit großzüger Mimik auch der Rest des Korbs in den Bin geleert. Ach was solls, heute ist man mal großzügig! Mit selbstzufriedenem Gesichtsausdruck stellt man sich dann am besten so vor den Bin, dass man angestupst wird, wenn der Traktor sich wieder in Bewegung setzt. Anschließend kommt die Kür – hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Man muss nämlich möglichst empört und überrascht gleichzeitig schauen, während zum nächsten Korb gelotst wird. Waaas? Noch einer? Irgendwann ist der Bin dann aber tatsächlich voll und ich mache einen Haken auf meiner Liste. 

So sieht mein Arbeitsalltag aus



Mittlerweile bin ich der einzige Traktorfahrer, da die Vanuatu-Crew bei der Weinernte hilft und somit nur noch um die 20 Pflücker auf dem Feld sind. Zwischenzeitlich war mein Mitbewohner Thorsten mein Treckeratze – Stefano wurde gefeuert, da er die eine oder andere Zwiebel auf grausige Art und Weise mit seinen Reifen in den Zwiebelhimmel befördert hat. Nach gut 4 Wochen auf dem Feld sind sämtliche Bewegungsabläufe Routine, der Trecker ist quasi in Fleisch und Blut übergegangen. Ich arbeite meist selbstständig und wechsle wenn überhaupt nur wenige Worte mit Graham, meinem Supervisor. Farmhund Duc ist mein ständiger Begleiter. Je nach Lust und Laune schnappe ich mir für eine Mittagspause den Gator und fahre auf eine eiskalte Cola zur Cottage. 

Team Trecker posiert. Farmhund Duc dreht uns irritiert den Rücken zu.


Eines der Zwiebelfelder ist mit Disteln überwuchert, da dort beim Sprayen wohl etwas schief gelaufen ist. Die Pflanzen Disteln zu nennen ist allerdings untertrieben – hüfthoch, dick wie ein kleiner Baum und die Stacheln lassen gerne mal einen Finger anschwellen, wie Thomas erfahren durfte. Eines Nachmittags bekam ich die Gelegenheit ihn zu rächen. Der Boss drückte mir eine löchrige Hose und den „Whipper Snipper“ in die Hand. Das Gerät ist leicht modifiziert worden: Anstelle einer Nylonschnur wurde einfach das Blatt einer Kreissäge ans andere Ende geschraubt. Nicht wirklich nach TÜV-Norm, aber durchaus effizient. Gegen 3 ist meist Feierabend, und falls es gerade fließendes Wasser gibt wird direkt geduscht. Parfüm oder Deo braucht hier Niemand, es ist Wohltat genug einfach mal nicht nach Zwiebeln zu riechen.

Gemütlicher Abend am Lagerfeuer im Flußbett
 
Nach Feierabend sammeln sich dann meistens noch alle draußen und legen die Füße hoch. Hinter der Cottage wurde aus allerlei Schrott ein sehenswerter Fitnessbereich errichtet, der nach der Arbeit jedoch gekonnt ignoriert wird. Gesprächsthema Nummer Eins sind zu meinem Ärgernis stets die Zwiebeln. Zwiebeln zu klein, Zwiebeln zu trocken, Supervisor zu willkürlich und nicht fair. Besonders die eigenen Landsleute sind Weltmeister im Nörgeln, denn selbst wenn man eine gute Reihe erwischt hat und am Tag auf 30 Dollar Stundenlohn gekommen ist – ist doch alles kacke! Manche haben auch einfach keinen Gesamtüberblick und maulen mich dann an, wenn sie am Ende noch auf die Abholung ihres letzten Bins warten mussten – man hat ja schließlich gewunken wie blöde! Macht doch nix, dass Andere schon länger warten! Ich schildere das daher so genau, weil ich da eine persönliche Entwicklung festgestellt habe. Zu Beginn habe ich mich stressen lassen, doch mittlerweile bin ich die Ruhe selbst. Wers nicht rafft und sich aufregt, ist selber Schuld! Generell ist der Frust jedoch verständlich – Backpacker sind billige Arbeitskräfte und werden auch so behandelt. Leere Versprechen, widersprüchliche Ansagen und falsche oder fehlende Informationen stehen an der Tagesordnung. Vor allem in Anbetracht des hiesigen Personalmanagements würde jedem deutschen Unternehmensberater mit Anlauf das Gesicht entgleisen. Carine, meine neue französische Mitbewohnerin darf bei der Arbeit (Weinernte) zum Beispiel nicht reden und bekommt stets eine fette „9“ mit Edding auf den Arm gekritzelt. Only in australia. 

Das "Gym"


Die Zwiebelsortieranlage


Aber all das ist nun mal auch Teil der Erfahrung als Backpacker. Und ich habe als Traktorfahrer wirklich Glück gehabt. In den letzten 4 Wochen habe ich effektiv (mit Steuern und Rente) 5000 Dollar verdient - das mag zwar nicht mit den Bitcoinmillionären zuhause mithalten können, ist aber für einen Backpackerjob wirklich sehenswert. Ich lebe günstig auf der Farm und habe tolle Leute um mich. Alles in allem der optimale Job – und darum bin ich auch noch immer hier! Mein Working Holiday Visum habe ich bereits um ein weiteres Jahr verlängert. Dazu muss man online 88 Tage Farmarbeit (o.Ä.) nachweisen und saftige 420 Dollar bezahlen. Ich warte jedoch nach wie vor auf meine Steuerrückzahlung – in Australien ein Thema für sich.

Am letzten Wochenende hatten wir tatsächlich mal den Sonntag frei. Wie der Zufall es so wollte war für Samstag Abend eine Buschparty in Planung – eine Art Testlauf für Silvester. 10 Jungs von der Nachbarfarm haben sich zusammengetan und die alte Anlage eines Pubs gekauft. Die wurde in einen nahen Nationalpark an den Fluss gekarrt und so ziemlich jeder Reisende in Carnarvon war dort. Zum eigenen Erstaunen musste ich feststellen, dass meine letzte Party schon 4-5 Monate zurück lag. Krass! Dementsprechend hat auch mein ominöser Energysekt Wirkung gezeigt... es war jedenfalls ein toller Abend mit dem Einen oder Anderen bloguntauglichen Ereignis. Ich habe noch immer ein wenig Schlafmangel... ich werde alt! Total verkatert besuchten wir am Sonntagmorgen einen „Car market“. Leider gab aber keine Autos zu sehen, es war eher ein Flohmarkt. Wir machten das beste daraus und setzten uns stumpf unter einen kleinen Baum in den Schatten. Für 2 Stunden.

Eine Party im Nirgendwo...


Der Tag danach war eher so mittel produktiv


So, entschuldigt den etwas trockenen und Ereignislosen Blogeintrag – ihr habt es so gewollt! Das wird sich jedoch bald ändern. Oooh ja! Die Ernte geht noch etwa 2 Wochen, und dann ist auch schon ganz schnell Weihnachten und Silvester. Anfang Januar werde ich wieder aufbrechen. Der Süden ruft! Ich habe noch viel vor, bevor ich im April wieder nach Deutschland komme. Es gibt sogar schon so etwas Ähnliches wie einen Plan...

Too easy mates!

Flo


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