Auf Jobsuche im Ölgewerbe


Die erste Nacht alleine in Fort St. John wär kälter, als ich erwartet hatte. Sobald die Temperatur in den negativen Bereich fällt, wird es im Auto recht ungemütlich. Ich kramte meinen Schlafsack wieder hervor, der seit meiner Zeit in Island nur noch als Rückenlehne missbraucht worden ist. Morgens ist die erste Amtshandlung meist das Starten des Motors, danach ich verkrieche mich direkt nochmal für 20 Minuten unter die Decke. Dank großem V8-Motor und seperatem Heizlüfter unter dem Bett wird der Wagen dann aber immerhin sehr schnell warm.

Bevor man sich auf Jobs im Ölgewerbe bewerben kann, muss man erst einige Kurse absolvieren. Die Tageskurse für „Erste Hilfe“ und „H2S“ kosten dabei zusammen etwa 300 Dollar und sind mit gesundem Menschenverstand locker bestehbar. Die Schauspieler in den Lehrvideos sind allerdings dermaßen grottig, dass ich fast auf den Tisch gekotzt hätte. Oh Hilfe, Hilfe, ich bekomme keine Luft mehr, ääh, Hilfe. Die würde man sogar bei RTL2 rauswerfen. H2S ist übrigens ein tückisches giftiges Gas, was auf den Ölfeldern jederzeit aus dem Boden kriechen kann. Arbeiter haben permanent einen Piepser bei sich und im Notfall müssen strenge Sicherheitsprozedere eingehalten werden. Ich weiß nun jedenfalls, wie man einen Defibrillator oder eine Atemmaske benutzt.

Die anschließende Jobsuche verlief eher schleppend. Vor 2 Jahren hat man hier die Jobs nur so hinterher geworfen bekommen, aber den großen Boom hat das Ölgeschäft bereits hinter sich. Falsche Adressen bei Google, unklare Ausschreibungen und die bevorstehenden Parlamentswahlen erschwerten das Ganze zudem. Bei den Büros findet man oft nur einen Wurfkasten für Lebensläufe und bis heute ist keine einzige meiner vielen Mails beantwortet worden. Kacke dachte ich mir - zur falschen Zeit am richtigen Ort.
Ich blieb hartnäckig und hatte schließlich irgendwann Glück: Eine große Firma für Pipelinebau nahm mich in ihr Register auf. Natürlich nicht ohne zusätzliches Onlinetraining, zwei Tests, einen Haufen Papierkram und einen frischen Becher lupenreines Urin. Seit einer Woche stehe ich dann jeden Morgen um 6 Uhr dort auf der Matte, schnorre mir einen Kaffee und warte mit 5-10 Anderen meist vergeblich darauf, dass man mich spontan rausschickt. Gegen 8 heißt es dann oft „Sorry, we are good for today“ und ich mache mich auf den Weg zu Mc Donalds in mein Büro, wo ich bereits mehr oder weniger zur Familie gehöre. Am Anfang hab ich es mir immer im Auto bequem gemacht und das Wifi von dort genutzt, aber eines Tages klopfte die Polizei an der Tür. Eine Oma hat mich in meinem Candyvan direkt vor der Spielecke am Rechner sitzen sehn und mich offenbar für einen nicht so ehrenwerten Mitbürger gehalten. Die Meisten der 20 Mitarbeiter kennen meinen Namen, putzen mir rechtzeitig meinen Stammtisch (den neben der Steckdose) und mein Mcnopoly-Spielfeld ist vor lauter Aufklebern schon schwer wie Blei. Letzteres mag jetzt etwas übertrieben gewesen sein, aber wenn man zwei Wochen lang nur doof in der Ecke rumsitzt macht sich irgendwann Frust breit. Fast jeden Abend gesellt sich meine Mäccesclique zu mir, eine extrem unterhaltsame Gruppe Trucker in ihren 50ern. Sachliche Diskussionen sucht man dort vergebens - das Flüchtlingsproblem könne man ja einfach mit ein paar Maschinenkanonen am Strand regeln und überhaupt, „gun control is when you use both hands“. Aber die Alten haben ein paar unschlagbare Geschichten auf Lager und versorgen mich nebenher mir allerlei wertvollen Infos zum Thema Jobsuche und dem Überwintern im Ort.

scrap that shit off!
scrap that shit off!

Letzten Samstag passierte dann das unerwartete - ich hatte kaum die Tür aufgemacht, da schleuderte man mir anstatt einem „good morning“ nur ein „flo did you piss!?“ ins Gesicht. Gemeint war offenbar der Drogentest, und ich antwortete mit einem dezent irritierten „Jep“. „Scrap that shit off“ war der zweite Satz, und man drückte mir einen pinken Einwegrasierer in die Hand. Eigentlich wollte ich mir hier über den Winter einen mächtigen Bart wachsen lassen, aber wegen der Atemmasken muss man stets gut rasiert zur Arbeit kommen. Innerhalb von 5 Minuten war ich in einem feuerfesten Overall, hatte einen grünen Helm auf den Kopf und war mit einem „Pipefitter“ namens Will auf den Weg in die Dunkelheit. Jeder Schweißer und Installateur hat im Ölgeschäft seinen eigenen Bimbo „Helper“, und der von Will hatte am Vorabend offenbar zuviel gesoffen. Zwei Stunden lang fuhren wir auf dem Alaska-Highway gen Norden und beschallten den 130.000 Dollar teuren Pickup dabei mit Ohren betäubendem Hiphop. Weitere 55km ging es anschließend offroad in den kanadischen Busch. Da man sich die oft grenzwertig gepflegten, kurvigen Pisten mit schwerem Gerät teilt, muss man permanent in Funkkontakt bleiben. Alle zwei Kilometer musste ich also die Musik kurz leiser drehen, um Sätze wie „8 up jedley road, a couple“ ins Mikro zu nuscheln. Irgendwann kamen wir bei einem Ölbohrturm an und fanden einen verwirrten Vorarbeiter in seinem Container. Irgendein f****** F***** hätte ein Glasfaserkabel ge*f****, und die f****** gefährliche Arbeit kann man ohne f***** Kommunikation nicht verantworten. F***! Die vollen Propantanks, die wir eigentlich verlegen sollten blieben also wo sie sind und ich wir schauten einen Film auf meinem Macbook im Auto. Gegen 2 kam der Vorarbeiter wieder und gab uns neben diversen Kraftausdrücken zu verstehen, dass heute wohl nichts mehr passieren würde. Alles klar - Tür zu, Musik an und wieder los nach Fort St. John - mein erster Arbeitstag hätte durchaus schlimmer sein können!

Der Samstag war aber leider die Ausnahme und bisher mein einziger Arbeitstag hier im Norden. Doch das soll sich bald ändern, denn heute habe ich eine erfreuliche SMS erhalten: Morgen früh fahre ich doch tatsächlich in ein Camp! Jackpot! Was ich dort machen soll und wie lange ich bleibe weiß ich allerdings auch noch nicht. Der nächste Eintrag handelt also von meinen ersten Arbeitserfahrungen in der kanadischen Wildnis - drückt mir die Daumen!

Cheers, Flo


Teile diesen Blogeintrag:


Kommentar schreiben

Kommentare: 0