Die lang ersehnte Wende

Dieser Eintrag handelt vom Fall der Berliner Mauer, was natürlich schamlos gelogen ist. Aber manchmal fühlt man sich hier wirklich wie ein paar Jahre in der Zeit zurückversetzt. Beim Faxen (echt jetzt) und SMS schreiben sind die Weltkriege stets ein beliebtes Thema, und während man bei Mäcces auf seine Bestellung vom Dollarmenü (auch das gibts noch) wartet, erzählt einem die Kassiererin wie erleichtert sie doch ist, dass Hitler jetzt tot ist. Smalltalk made in Canada.

Nachts sind es hier mittlerweile immer unter 0 Grad, und als mir eines Morgens die Decke am Gesicht fest gefroren war wusste ich, dass es so nicht weiter gehen konnte. Schließlich hat meine Mutter „keinen Bock einen tiefgefrorenen Florian nach Hause geschickt zu kriegen“, was ich auch durchaus verstehen kann. Der normale aufgetaute Florian ist ja schon gewöhnungsbedürftig. Ich besorgte mir daher einen 1500 Watt Keramik Heizlüfter, den ich Nachts immer schön auf Kosten der Firma durchlaufen ließ. Ich schlich mich für die Nacht eh immer dort auf den Parkplatz, um meinen „Block Heater“ an den Strom anzuschließen. Das ist quasi ein Tauchsieder fürs Kühlwasser, womit die Autos in Kanada auch bei eisigen Temperaturen am Leben erhalten werden. Fast jeden Abend liefen mir dort Rehe oder auch mal ein Elch vor dem Auto entlang. 

Den letzten Eintrag hatte ich ja mit den Worten beendet, beim nächsten mal vom Leben und Arbeiten im kanadischen Camp zu berichten. Nun, das war wohl auch gelogen. Alles war vorbereitet: Ich hatte Blubber winterfest im Hof geparkt, Tonnenweise Süßkram besorgt und in den Dufflebag gestopft, meinen Coverall angelegt und saß fertig zur Abfahrt im Büro meiner Pipelinefirma. Das Mädel im Büro meinte dann plötzlich, sie hätte „partially bad news“ für mich, es gäbe eine Planänderung und ich solle nun doch nicht mehr ins Camp. Ich fragte plump, was denn daran „partially“ wäre und bekam das Versprechen, man würde so schnell es geht Arbeit für mich finden.

So war es dann auch, allerdings nicht im Camp sondern auf dem Hof der Firma. Ein „Hof“ einer Ölfirma ist kein idyllischer Ort auf dem Land mit Hühnern und kleinen süßen quiekenden rosa Schweinchen, sondern im Endeffekt ein riesiges Grundstück mit verschiedenen Lagern, Werkstätten und Plätzen. Dort ist ein kleiner Teil der in diesem Fall 500 Mitarbeiter damit beschäftigt, alles für die „Jobs“ im kanadischen Busch vorzubereiten: Equipment warten, testen und lagern, Bestellungen zusammenstellen, Reparaturen und Sonderanfertigungen. Dort war ich schließlich als Schweißergehilfe von Charlie tätig. Ich musste Blaupausen lesen und die oft extrem schweren Teile („fuck fuck fuck fuck“) zusammensuchen und ausrichten. Schweißstäbe aus dem Ofen holen und passend anreichen, den Glutnippel im richtigen Moment abschlagen und fertige Teilstücke mit dem Deckenkran abtransportieren. Eigentlich alles bis auf das Schweißen an sich - dafür braucht man mindestens 15 Jahre Erfahrung und verdient dann damit mehr als deutsche Top-Manager. Ein Großteil der Arbeit bestand allerdings aus Abwarten und Tee Kaffee trinken.

Nach ganzen 4 Tagen beschloss Charlie dann aber ohne Vorwarnung, anstatt zur Arbeit zu kommen doch lieber ein wenig mit seinem Flugzeug rumzufliegen. Von da an bestand mein Alltag wieder daraus, morgens vergeblich zwei Stunden auf Arbeit zu warten um dann auf den nächsten Tag vertröstet zu werden. Allerdings auch nur so lange, bis ich vor lauter Rückenschmerzen stattdessen zum Krankenhaus gefahren bin - ich hatte mich wohl irgendwie verhoben und lief hier wie der Glöckner durch die Gegend. Nicht nett! Nach knapp 5 Stunden Warten im Krankenhaus bekam ich dort den wertvollen Tipp vom Arzt, ich solle doch mal Rückenschmerzen googlen - vielen Dank dachte ich mir und glöcknerte wieder zu meinem tiefgefrorenen Zuhause. Meine Stimmung war auf dem absoluten Tiefpunkt - gesundheitliche Angeschlagenheit, Perspektivlosigkeit und Wochen ohne nennenswerte soziale Kontakte nagten an meiner geistigen Verfassung. Mein Plan, den Winter in Fort St. John zu verbringen, drohte zu scheitern.

Zoggen bei Megges
Zoggen bei Megges

Nach einer weiteren frustrierenden Woche begann ich, online nach Alternativen zu schauen. Calgary oder Vancouver Island klingt doch nicht schlecht. Eigentlich schrie alles in mir danach, sich ins Auto zu setzen und einfach woanders hin zu fahren. Nur der Verstand stellte sich dagegen: Das Konto ist leer, woanders ist die Jobsituation auch nicht besser, hier sind die Löhne am höchsten, in Alberta ist mein OFA-Kurs ungültig, kurz vor Weihnachten kriegt man sein Auto schlecht verkauft und in großen Städten kann ich damit nichts anfangen, erst ab Januar kann ich meinen Führerschein umschreiben und so weiter bla bla - Abzuhauen machte einfach überhaupt keinen Sinn. Also blieb ich hier. Fast alle deutschen Reisenden arbeiten ja über den Winter in einem der Skigebiete, aber neeiiin, das war dem Florian natürlich nicht extrem genug! Jetzt saß ich hier seit einem Monat in diesem Kaff fest und verbrachte die Tage mit Warten, Filme schauen und Hearthstone spielen bei Mc Donalds. Der komplette Monat Oktober war eigentlich fürn Arsch, um es mal auf deutsch zu sagen.

Crewhouse -> Firmenwagen
Crewhouse -> Firmenwagen

Der 4. November war dann aber schließlich so einer der Tage, an denen plötzlich einfach alles richtig läuft und man abends mit einem breiten Grinsen ins Bett geht. Ein paar Tage zuvor hatte ich nochmals ein paar Lebensläufe verteilt, unter anderem an die Firma, die den Schlabberhannes Hannes eingestellt hat - den bisher einzigen anderen deutschen Reisenden, den ich hier (natürlich bei Macces) getroffen habe. Das war schließlich die Nadel im Heuhaufen, denn allem Anschein nach habe ich dort einen richtig guten Job ergattert. Ich bin jetzt „water tech“ bei einer Firma, die in erster Linie Fracking betreibt, aber auch andere Projekte ausführt, bei denen Erschließung oder Transport von Frischwasser von Nöten ist. Neben dem üblichen Anfangslohn von 18 Dollar pro Stunde (+ Zuschläge) können die Angestellten hier kostenlos im „crew house“ wohnen - ich teile mir also seither ein zweistöckiges Haus mit Hannes. Luxus pur!

In den letzten 10 Tagen haben wir im Hof („Shop“) der Firma gearbeitet, und dabei schon so Einiges erlebt und gelernt. Neben uns ist auch der Supervisor Scott, der Mechaniker Jerry und der Mensch Bill immer vor Ort. Zwei von den Dreien sind super nett, der Dritte ist ein unfassbar nervtötender, unterbelichteter Sektenanhänger. Bei dem Kerl ist wirklich so einiges schief gelaufen - er stellt mich jeden Tag aufs Neue auf die Geduldsprobe. Davon abgesehen ist der Job allerdings wirklich mehr als in Ordnung. Wir bedienen und warten allerlei Geräte (Skidsteers und Bobcats, diverse Kettenfahrzeuge und Werkzeuge) und werden mit den Pumpen und Generatoren vertraut gemacht. Es ist kein stumpfer Arbeiterjob, wie ich ihn erwartet hatte - jeden Tag gibt es andere Dinge zu tun: Maschinen reparieren, Kabel austauschen, Logos entfernen, Listen führen, Schläuche bilden, Besorgungsfahrten machen, Container abpumpen, Stützen anschweißen, Regale aufräumen, Equipment verladen und und und. Natürlich ist auch Quatschen und Kaffee trinken wieder hoch im Kurs - wir sind schließlich nicht in Deutschland hier.

Wegen meinem Van habe ich im Shop den Spitznamen Candyman - mal was Neues. Samstag half ich Jerry, den kaputten Motor aus seinem Truck auszubauen, und er warf dafür mal einen Blick auf Blubber den Candyvan. Mit neuer Batterie und Benzinfilter und dem Daumen-hoch eines Mechanikers, der es mal nicht auf Geld abgesehen hat fährt es sich schon gleich viel besser. Jetzt kann der Winter kommen! Im Shop habe ich außerdem ein paar alte Boots gefunden - eine halbe Tube Acryl und zwei obdachlose Spinnen später waren die wieder wie neu… Die Dinger sehen aus wie normale Gummistiefel, sind aber „mega heavy-duty master ultra kann-alles Stahlkappe -50° extreme-resitant morgan-freeman-approved“ und kosten neu mindestens ein halbes Vermögen.

Mit viel Geduld und ein wenig Glück konnte ich meine depressive Durststrecke also überwinden und es läuft endlich wieder so, wie es soll - nämlich richtig gut. Sobald ein neuer Auftrag reinkommt werden wir ins Camp geschickt, wo tägliche 12-Stunden Schichten in der kanadischen Wildnis auf uns warten. Die Schichten gehen wohl immer von 6 bis 18 Uhr, wobei noch offen ist ob man zum Tag- oder Nachtarbeiter auserkoren wird. Die Arbeit im Camp soll recht entspannt sein, könnte aber bei eisigen Temperaturen durchaus interessant werden. Ich werde berichten… diesmal aber wirklich!

Cheers, euer Candyman

 

 

P.S.: Die Firma hat extrem strike Bestimmungen zum Thema Publishment und Social Media. Ich dürfte zwar berichten, allerdings nie in irgendeiner Weise negativ. Da ich aber tippen will was immer mein lustiges Hirn für richtig hält und dabei trotzdem meinen Job behalten möchte, sind sämtliche Firmennamen und Logos unkenntlich gemacht und werden auch nicht namentlich erwähnt.

 

P.P.S.: Der Blogeintrag gammelt bereits seit einigen Tagen auf meiner Festplatte rum. Ich kam noch nicht zum hochladen, da es einen "major fuckup" gab und ich 15-Stunden-Schichten geschoben habe. Beim nächsten mal berichte ich daher von eisigen Hosen und einem ganzen Truck voll Biberscheisse.


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