Mit Tim am Seuchenwagen

In meiner Silvesternacht gabs Nordlichter statt Feuerwerk
In meiner Silvesternacht gabs Nordlichter statt Feuerwerk

Hallo ihr Lieben, nun ist schon wieder ein ganzer Monat seit meinem letzten Eintrag vergangen. Zeit, mal wieder völlig übermüdet einen lieblosen Text rauszuhauen. Was ist passiert? Die ersten beiden Wochen im neuen Jahr schlichtweg gar nichts. Ich habe einfach ein schlechtes Jahr erwischt, um im Ölgewerbe zu arbeiten. Was ihr nur an der Zapfsäule zu spüren bekommt hat hier etwas größere Ausmaße. Der Ölpreis ist so niedrig wie seit 12 Jahren nicht mehr und zieht die gesamte kanadische Wirtschaft in den Keller. Somit ist aber auch der kanadische Dollar recht niedrig und die USA importiert mehr Öl, anstatt selbst zu fördern. Das ist wohl der einzige Grund, weshalb dieser Ort hier überhaupt noch existiert. Daher kam ich ins grübeln und begann, nach Alternativen zu suchen. Aber dazu später mehr.

Mitte Januar klingelte dann plötzlich das Handy. Ich erwachte aus dem Koma und wurde für einen Tag nach Grande Prairie geschickt, um ein Fahrertraining zu absolvieren. So ziemlich jeder Kanadier muss sich irgendwann diese Videos aus den 80ern und klangvolle Faustregeln für sicheres Autofahren antun. Im Anschluss gab es dann sogar noch eine Fahrprüfung, die aber wirklich ein Witz war. Man hätte den gesamten Tag auch in „Benutz dein Hirn“ zusammenfassen können, aber dann hätte ich keine 300 Dollar dabei verdient. Ging also klar.

Am nächsten Morgen kam wieder eine SMS (wird hier noch genutzt) und Helipilot Jordan holte mich für einen Gasmaskentest ab. Es sollte für zwei Wochen auf einen Flowback-Job gehen. An dieser Stelle vielleicht mal ein paar Infos, wie das Fracking in den Gasfeldern überhaupt funktioniert: Eine Quellbohrung geht etwa 2-3 Kilometer in die Tiefe, macht einen Knick und verläuft dann nochmals 2-3 Kilometer waagerecht durch die Sedimentschichten. Dort wird die Bohrung perforiert und etwas tiefer werden Kolben in die Bohrung gesprengt. Diese Kolben halten eine Art Ball davon ab, noch tiefer zu rutschen - der Ball blockiert die Bohrung an gewünschter Stelle und Frackwasser (Wasser mit Sand) wird mit extrem hohem Druck hinabgepumpt, dringt durch die Perforation und erzeugt die Risse in der Lagerstätte, die schließlich später die Ausbeute erhöhen. Das alles ist geschehen, während ich Anfang Januar Eier geschaukelt habe. Im Anschluss beginnt dann das „Millen“, wobei die besagten Kolben mit einer Art Fräs-Aufsatz entfernt werden. Das genutzte Frackwasser (der Sand bleibt unten und hält die Risse offen) dringt nun mit etwas Gas an die Oberfläche, was man Flowback nennt. Damit es nicht wieder Videos mit brennendem Wasser aus dem Wasserhahn gibt muss dieses reguliert, gefiltert und abgepumpt werden - und genau das war mein Job in den letzten 2 Wochen. 

Fracking hat nach wie vor einen sehr schlechten Ruf in Deutschland, was nicht wirklich begründet ist. Wenn die strengen modernen Sicherheitsvorkehrungen und Richtlinien eingehalten werden, ist es nicht umweltschädlicher als alles Andere, was mit der Öl- und Gasförderung zu tun hat. Ein notwendiges Übel der modernen Gesellschaft, genau wie Atomenergie oder Entwaldung. Und wer Energie braucht ist Teil dieser Gesellschaft. Jeder denkt jetzt an Heizkosten und Benzin, aber auch der Transport deines Lieblingsmüslis in den Supermarkt, die Herstellung von Fahrradreifen, Handyhüllen oder dem Bildschirm, auf den du gerade schaust… alles braucht Energie. Und Greenpeace protestiert mit gelben Plastikkanus gegen Bohrtürme im Ozean. Das ist wie mit dem rosa Farbstoff, der seit Jahren weltweit in Fleischwurst gepumpt wird: Sieht nicht mehr aus wie Tier und jeder packt sich gierig drei Scheiben aufs Brötchen, aber Tiere töten, nee da ist man doch echt dagegen. So lange man kein selbst gebasteltes Windrad vor der Lehmhütte stehen hat und sich nackt von Unkraut ernährt, sollte man sich mit Aussagen a’la „Fracking ist böse“ also eher zurückhalten.

Soweit das Wort zum Sonntag. Auf nem Samstag, weil ichs kann. Zurück zum Thema: Angekommen im Busch ging es direkt an den „Rig-in“, den Aufbau der gesamten Anlage. Es war der anstrengendste Tag von allen - schwere Schläuche mussten verlegt und befestigt werden. Wir stellten eine Pumpe zwischen die beiden je 7.500 Kubikmeter (cubes) fassenden Behälter (c-rings), welche zur Pipeline führt, die das Wasser einige Kilometer weiter in ein Auffangbecken transportiert. Auf der anderen Seite der Lease stand unsere Filtereinheit neben vier 60m3-Tanks, in die das Flowback gepumpt wurde. Das mit aufsteigende Gas wird vor Ort verbrannt. Mein Aufgabe war es hauptsächlich, die Tanks im Auge zu behalten. Bei weniger als 20m3 verlieren die Pumpen Druck, bei mehr als 60m3 läuft die Suppe über und mir wächst ein dritter Arm mit 7 Fingern oder so. Ich habe kurz überlegt, mich dann aber doch dagegen entschieden. Also wird das Wasser abgepumpt, wobei die Filtereinheit im Anhänger regelmäßig zusetzt und ich mit Sauerstofftank und Atemmaske bewaffnet einen Wechsel durchführen muss.

Das ganze klingt hier wahrscheinlich etwas simpler, als es ist. Jeden Morgen wird der Tag in großer Runde bei einem Safety Meeting besprochen. Man hat drei Funkgeräte im Einsatz und muss alle Vorgänge mit etlichen anderen Einheiten auf der Lease abstimmen. Gibt es irgendwo Probleme oder Umstellungen, betrifft das auch alle Anderen. Da an zwei Bohrungen gleichzeitig gearbeitet wurde musste ich an den Stimmen der Crew erkennen, um welche Seite es überhaupt gerade ging. Das ginge sicherlich effektiver, aber so läuft der Bär in Kanada. Aber auch hier bestand ein Großteil meiner Arbeit aus Abwarten und Tee trinken. Okay, Cola. Teilweise kam enorm viel Gas mit aus der Bohrung und sorgte für eine 10-15 Meter hohe Stichflamme. Die machte nicht nur Lärm wie ein startender Düsenjet, sondern brachte auch den ganzen Schnee im Umkreis zu schmelzen, wodurch ein knietiefer See mitten auf der Lease entstand.

Trotz vielem Rumsitzen ist die Arbeit im Busch recht belastend. Eisiger Wind zieht in die Knochen und an der Stelle, wo mein Schienbein an die Stiefel rubbelt wachsen keine Haare mehr. Tragisch, ich weiß. Entscheidend ist jedoch die psychische Belastung. Zum einen ist man jeden Tag 13 Stunden „on site“, das Leben im Camp besteht also fast nur aus Arbeiten und Schlafen, was nach langer Zeit schon auf das Gemüt schlagen kann. Zum anderen teilt man sich den Truck die gesamte Zeit mit einem Mitarbeiter, und die kanadischen Öl-Arbeiter sind… naja… anders. Die letzten 11 Tage habe ich mit Tim verbracht. Tim ist 55 Jahre alt, hat einen großen grauen Schnauzbart und wirkt mit seinem charismatischem Auftreten auf den ersten Blick sehr sympathisch. Auf den ersten Blick - Die Delle am Kopf hat er von einer Billardkugel bei einem Bar Fight, seit einer anderen Schlägerei ist er auf einem Auge fast blind. Tim ist maßlos narzisstisch, er redet permanent von Hitler und vom zweiten Weltkrieg. Afrikaner und Araber solle man alle wegbomben, damit die Bevölkerung wieder ins Gleichgewicht käme. Als er noch ein Kind war ist sein Vater mit ihm am Wochenende durch die Gegend gefahren, um nach Lust und Laune Hippies zu verprügeln. Seit 35 Jahren geht er in den Ölfeldern arbeiten, um das gesamte Gehalt an den freien Tagen im Puff zu verbraten. Stolz erzählt er von 457 Frauen, aber sein bester Freund bei den Hells Angels hätte schon über 800 gehabt. Tim ist ohne Frage der perfekte Mensch, denn er weiß alles und kann alles. Mir ist nun auch klar, dass ich mal meine Ohren checken lassen muss. Denn irgendwie höre ich ihn schlecht, wenn er direkt neben der Hydraulikpumpe irgendwelche Wortfetzen in den Wind nuschelt. Und das kann nur an meinen Ohren liegen, woran bitte auch sonst?

 

Das ist nur ein Ausschnitt von einem meiner Mitarbeiter… Immerhin war er die Hälfte der Zeit damit beschäftigt, für Raucherpausen quer über die Lease zu spazieren. Wirklich böse sein kann ich rassistischen Menschen sowieso nicht, denn im Endeffekt ist es reine Dummheit. Rassismus entsteht doch letztendlich wie Religion: Menschen kriegen von klein auf irgendeinen Schwachsinn in den Kopf gesetzt, immer und immer wieder. Sei es nun das geteilte Meer, die minderwertigen Gene dunkelhäutiger Menschen oder 42 Jungfrauen, die im Himmel auf einen warten. Und wer einfach nicht die geistige Stärke aufbringen kann, diese „immer wahr gewesenen“ Dinge irgendwann in Frage zu stellen, der folgt eben der Menge wie ein Schaf in der Herde, auch wenn die von der Klippe rennt. Es sei denn natürlich es ist ein schwarzes Schaf dabei, das sollte man wegbomben. Allahu Akbar!

Irgendwie komme ich heute immer vom Thema ab. Wobei das Reisen an sich eigentlich keine thematischen Grenzen kennt. Man trifft ständig auf neue Menschen, Geschichten und Situationen und der eigene Horizont erweitert sich in alle Richtungen, je länger man unterwegs ist. Gegrübelt habe ich auch viel über die eigene Zukunft, aber damit verschone ich euch hier. Fest stehen zwei Dinge: Erstens - im Sommer steht ein gigantonströsatischer Roadtrip auf dem Plan. Kinners, das wird fett. Zweitens - ich will mir bis dahin ein finanzielles Polster aufgebaut haben, welches mir auch nach meiner Rückkehr nach Deutschland noch ein komplettes „arbeitsloses“ Jahr ermöglicht, um mich eigenen Projekten zu widmen.  Nun gibt es zwei Wege zu diesem Ziel: In Kanada bleiben und hoffen, dass das Ölgeschäft halbwegs Arbeit abwirft, oder aber für 3-4 Monate einen Stopp Zuhause einlegen. Es sind unzählige Faktoren die dabei mit einfließen und ich habe etwa bis Mitte Februar Zeit, eine Entscheidung zu fällen. Wer mitgrübeln oder seinen Senf abgeben möchte ist dazu herzlich eingeladen, die Senfklappe ist rund um die Uhr geöffnet. Ich werde nun jedenfalls ins Bett gehen und zum ersten mal seit zwei Wochen wieder ordentlich Ausschlafen. Bis vielleicht schon recht bald,

Flo


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Kommentare: 2
  • #1

    Karl (Sonntag, 31 Januar 2016 00:41)

    Zu deiner Energiemeinung...

    https:/.youtube.com/watch?v=U8MwYX5cgtQ

  • #2

    En Max (Sonntag, 31 Januar 2016 10:06)

    Immer wieder was zu lachen in deinen Formulierungen.. ^^