603 Stunden Arbeit in 58 Tagen

Meinen letzten Eintrag hier hab es im Januar, und mittlerweile haben Bezeichnungen wie „verschollen“ und „schreibfaul“ ihren Weg in den kanadischen Busch gefunden. Nie zuvor habe ich so lange nichts von mir hören lassen. Sorry! Aber hey, hier isser, wieder aufgetaucht und sogar am schreiben! Mitte Januar habe ich noch mit dem Gedanken gespielt, für einige Monate wieder nach Deutschland zu kommen. Mein Plan in den Ölfeldern war ja irgendwie nicht so recht aufgegangen. Das hat sich aber schlagartig geändert - zwischen dem 13. Januar und dem 10. März liegen über 600 Arbeitsstunden und heute ist mein erster komplett freier Tag seit über 5 Wochen.

Zunächst ging es wieder auf einen Flowback Job. Neben Tim war auch ein dicker Indianer namens Tad mit von der Partie. Der Typ war einfach nur witzig und wir hatten Spaß ohne Ende. Er erzählte mir auch ein wenig von der Geschichte seines Dorfes. Als der Stamm vertrieben wurde hatten sie nur noch einen Bruchteil des Landes zur Verfügung, und die Kultur der einheimischen Völker wurde schlichtweg nicht akzeptiert. Wenn seine Oma zum Beispiel in der Öffentlichkeit ihre Stammessprache gesprochen hat, wurde ihr für den Rest des Tages vertikal ein Stock in den Mund geklemmt. Nicht nur die deutsche Geschichte, von der hier drüben noch jeder andauernd redet, hat ihre dunklen Flecken.

Der Job im Busch war wieder relativ entspannt. Ein Highlight war sicherlich ein Wiesel, was in eine Schale mit Flowback gesprungen ist und wieder im Wald verschwand. Seitdem reden wir immer ehrfürchtig vom Tschernobylwiesel, wenn sich irgendwo die Bäume biegen. Gegen Ende konnte ich noch ein großes Leck verhindern, als Tim dabei war die falsche Verbindung zu lösen. Jetzt kann ich wahrscheinlich mein Leben lang V8 fahren und habe bei den Baumkuschlern immer noch einen gut!

Eigentlich sollte ich nach dem Job ein paar Tage frei haben, doch am nächsten Tag ging es direkt wieder raus. In einer großen Kolonne fuhr ich gen Norden, um eine Wasserversorgung von einem Fluss direkt zur Lease zu installieren. Dabei standen wir zunächst 3 Stunden an der Kontrollwaage am Highway, da unser Tieflader maßlos überladen war. Erst nach Umladen und einer saftigen Geldstrafe für die Firma ging es weiter. Es gab noch weitere Probleme, sodass ich anstatt wie besprochen abends wieder nach Hause zu fahren in einem nostalgischen Buschcamp (Klos auf dem Flur und so) einquartiert wurde. Frische Klamotten seien überbewertet sagte Scott, im Militär sei ja auch jede Boxershort für 4 Tage gut: Umdrehen, auf links drehen, wieder Umdrehen.

 

Der folgende Tag war dann wohl gleichzeitig mein anstrengendster und interessantester Arbeitstag hier in Kanada. Der Weg zum Fluss war etwa 1500 Meter lang und wir fuhren mit großem Farmtraktor und der Schlauchrolle im Schlepptau durch eisiges Terrain. Ich habe drei Baumstämme aus dem Wald gezogen und aneinander gebunden, um den Schlauch durch eine Unterführung schieben zu können. Am Fluss angekommen wurde die Quellpumpe mit Stahldrähten gesichert und musste anschließend im Wasser versenkt werden. Die etwa eine Tonne schwere und zwei Meter lange Pumpe stand auf einem Aluminiumschlitten, der Fluss war eisbedeckt. Nur in der Mitte des Flusses  war dieser eisfrei, und mit 6 Mann tasteten wir uns dorthin vor. Hier im Eis einzubrechen endet nur im besten Fall mit einer dicken Erkältung. Es knackte bedrohlich und alle rannten panisch ans Ufer, doch die Pumpe stand immer noch. Mit einer Art Menschenkette konnten wir sie schließlich an einer Seite versenken und die Axt erledigte den Rest. Davon hätte ich echt zu gerne ein Video, aber daran war an dem Tag nicht zu denken. Im Endeffekt war ich 18 Stunden auf den Beinen und verbuchte dafür dank „Overtime“ 540 Dollar - bisher mein Rekord für nur einen Tag Arbeit!

Mit dem Firmenwagen unterwegs zum alten Camp
Mit dem Firmenwagen unterwegs zum alten Camp

Direkt im Anschluss ging es für 18 Tage, also bis gestern, auf einen Coiling Job. Dabei werden die Bolzen, die nach dem Frack in die Bohrschalung gesetzt werden, wieder aufgebohrt. Ich verbrachte eigentlich jeden Tag mit Rumsitzen und gelegentlich mal den einen Tank abpumpen, den wir im Blick haben mussten. Also so ziemlich der anspruchsloseste Job, den man sich vorstellen kann. Nur Handyspiele und Bücher machten das Ganze halbwegs erträglich.

Mit Tim, der natürlich auch ein großer Fan von Donald Drumpf ist, komme ich mittlerweile auch recht gut klar. Warum wir die Mauer damals weggeworfen haben, anstatt sie bald an Trump zu verkaufen, sei ihm aber ein Rätsel. Er nennt mich seinen „pacifist german sidekick“, weil ich seine rassistischen Ansichten nicht teile. Manchmal versinkt er für eine halbe Stunde in Gedanken und bricht sein Schweigen dann plötzlich mit Sätzen wie „women get horny on trains“ - es ist zum totlachen. Aber solange der Arbeitstag entspannt ist, also fast immer, kann man es mit ihm aushalten.

Mittendrin war außerdem irgendwann mein Geburtstag, der aber wie schon Weihnachten hier quasi nicht stattgefunden hat. Innerhalb von wenigen Tagen bekamen wir dort übrigens einen halben Meter Schnee, womit der März merkwürdigerweise zum Schneereichsten Monat in diesem extrem milden Winter geworden ist.

Mein "Arbeits"platz der letzten 18 Tage
Mein "Arbeits"platz der letzten 18 Tage

Über die gesamte Zeit war ich in einem „executive camp“ einquartiert. Mein Raum war übertrieben groß, ich hatte ein Doppelbett und ein Duschbad für mich allein und anständiges WLAN auf dem Zimmer. Der Flur war mit Plastikpalmen, Sitzecken und Bildern bestückt. Das Camp ist eigentlich ein vollwertiges All-inclusive-Hotel - nur von Außen sieht man, dass es doch nur ein Haufen Container mitten im kanadischen Busch ist. Erwähnenswert ist noch der Chefkoch des Camps, ein ziemlich eigener Charakter. Essen auf den Teller klatschen ist ohne Frage seine große Leidenschaft im Leben. Seine komplette rechte Ohrmuschel ist mit einem Spinnennetz-Tattoo bedeckt. Hinter dem Ohr ist auch eine Spinne tättowiert, die man durch sein großes Ohrloch sehen kann, was quasi den Spinnenbau darstellt. Ein gewöhnungsbedürftiger Anblick, mit dem er in Deutschland wohl nicht so leicht einen Job gefunden hätte. Ich verstehe aber sowieso nicht, warum Europa in Bezug auf Tattoos nach wie vor so extrem konservativ ist.

So, das ganze ist zwar ziemlich grob zusammengefasst, aber jetzt seid ihr wieder auf dem Laufenden. Mit dem Schreiben habe ich mich ein wenig schwer getan, da ich diesen trostlosen Ort in Gedanken eigentlich schon verlassen habe. Die Sommerpause steht vor der Tür und ich werde (wenn überhaupt) nur noch einmal für 1-2 Wochen in den Busch geschickt. Außerdem schreibe ich nebenher an Artikeln für ein anderes Onlineprojekt, und nach einem 14-stündigen Arbeitstag fehlt mir ohnehin meistens die Lust dazu. Das Ganze wird sich aber sehr bald schlagartig ändern, wenn die Arbeitszeit vorbei ist und das süße Reiseleben wieder beginnen kann. Es gibt keinen konkreten Plan, aber eine grobe Vorstellung, wie die kommenden Monate aussehen werden. Davon berichte ich euch dann in ein paar Tagen - Dann kann ich das Kapitel „Ölfeld“ mit einem kurzen Fazit endgültig abschließen und der Highway ist wieder mein Zuhause!

Bis dahin, Flo


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